Hardcover
Ab
10 Jahren
240
Seiten
ISBN:
978-3-7915-0110-9
Erschienen:
21.10.2019
Klappentext:
Annie
ist zehn und das jüngste von neun Geschwistern. Da gerät sie
manchmal ziemlich zwischen die Fronten, vor allem, weil sie so winzig
und ganz schön dünn ist. Doch das macht Annie nichts, für sie ist
es normal. Und wenn's doch mal schwierig wird, dann zählt sie. Das
hilft immer. Bis Annie merkt, dass zu Hause nichts normal ist: Gewalt
und Armut bestimmen den Alltag. Werden sie und ihre Geschwister die
Hilfe bekommen, die sie so dringend brauchen?
Quelle:
Verlagsgruppe Oetinger
Rezension:
Sieht das Cover nicht
wunderhübsch aus? Also bei mir war es hier Coverliebe auf den ersten
Blick. Da mich auch der Klappentext auf Anhieb überzeugen konnte,
stand für mich sofort fest: Die 10-jährige Annie und ihre
Großfamilie möchte ich unbedingt kennenlernen. Ich ließ das Buch
also nur zu gerne bei mir einziehen.
Massachusetts,
1985: Die 10-jährige Antoinette Elisabeth Bianchi, genannt Annie,
wohnt zusammen mit ihrer Familie in der Snow Lane Nummer 17 in
Ashcroft. Annie ist ziemlich klein und dünn für ihr Alter, sie hat
ein riesiges Lächeln und sie ist Legasthenikerin. Was Annie auch
noch ist: Sie ist die jüngste von neun Geschwistern. Sie hat sieben
große Schwestern und einen großen Bruder und wer jetzt denkt, dass
es doch bestimmt toll ist, in so einer großen Familie aufzuwachsen,
man hat so schließlich immer jemanden zum Spielen, dem sei gesagt:
In Annies Familie geht es nicht gewöhnlich zu. Bei den Bianchis
läuft eine Menge verkehrt. Der Vater hat drei Jobs und ist daher so
gut wie nie zu Hause, die Mutter kriegt kaum was auf die Reihe,
vernachlässigt ihre Kinder und müllt das Haus mit unnötigen Dingen
zu und die jüngeren Bianchis müssen sich vor den Drohungen und
Prügelattacken der größeren Geschwister fürchten. Für Annie ist
all das aber ganz normal. Und wenn es ihr doch mal zu viel wird,
zählt sie einfach. Das hilft immer. Irgendwann merkt Annie aber,
dass es überhaupt nicht normal ist, wenn Gewalt und Armut den Alltag
bestimmen. Annies Familie braucht Hilfe, dringend!
Dass
es sich bei „Annies Welt“ um kein Gute-Laune-Kinderbuch handelt,
hatte ich mir anhand des Klappentextes schon gedacht, allerdings
hatte ich dann doch mit einer etwas fröhlicheren Story gerechnet.
Vermutlich aufgrund des Titels und der farbenfrohen Aufmachung. Ich
persönlich frage mich ja, warum man das Buch so bunt gestaltet hat.
Das Cover sieht zwar wunderschön aus, passt in meinen Augen nur
irgendwie so gar nicht zu dem, was einem im Inneren erwartet. Und
warum man den Untertitel „3 x 3 Gründe, glücklich zu sein“
gewählt hat, habe ich ehrlich gesagt auch nicht so ganz verstanden.
Die
Geschichte, die hier erzählt wird, beschert einem wenig glückliche
Momente. Es gibt zwar auch ab und an mal etwas zum Schmunzeln, aber
insgesamt habe ich das Buch als zu traurig und hart für ein
Kinderbuch ab 10 Jahren empfunden. Meiner Ansicht nach ist „Annies
Welt“ eher ein Roman für Jugendliche und Erwachsene.
So,
ehe ihr jetzt den Eindruck gewinnt, dass mir das Buch gar nicht
gefallen hat, klingt ja schon irgendwie ziemlich negativ, was ich da
gerade geschrieben habe – doch, mir hat „Annies Welt“ gefallen,
sehr sogar! Ich finde das Buch wundervoll und habe es quasi in einem
Rutsch durchgelesen. Auf mich konnte die Handlung von den ersten Seiten an
die totale Sogwirkung ausüben, der mich kaum mehr entziehen konnte.
Das Einzige, was mich eben nur stört, ist die verspielte Gestaltung
und die Altersempfehlung. Unsere Protagonistin Annie ist zwar erst 10
Jahre alt, nur bin ich einfach der Meinung, dass die Geschichte für
jüngere Kinder eher ungeeignet ist.
Ich,
als Erwachsen, habe tolle Lesestunden mit dem Buch verbracht. Ich
greife total gerne zu Büchern, die mich schockieren, berühren und
nachdenklich stimmen. „Annies Welt“ war daher genau mein Ding,
denn das, was ich hier zu lesen bekommen habe, ist mich stellenweise richtig erschüttert. Das Buch ist definitiv nicht ohne. In Annies
Familie läuft eine Menge verkehrt. Der Vater ist nie da, weil er nur
am Arbeiten ist, die Mutter ist mit allem völlig überfordert und
kümmert sich kaum um ihre Kinder, die größeren Geschwister müssen
sich daher um die jüngeren kümmern und das war erst der Anfang.
Neben der großen Vernachlässigung vonseiten der Eltern bestimmen
auch Verwahrlosung, Armut und Gewalt den Alltag der Bianchis. Mich
hat es entsetzt zu sehen, wie es in Annies Familie zugeht. Einige der
älteren Geschwistern bedrohen und verprügeln die jüngeren und auch
die Mutter wird gerne mal handgreiflich. Schlimm, oder? Noch heftiger
wird das Ganze, wenn man sich das Nachwort der Autorin der
durchliest, in welchem hervorgeht, dass wohl recht viel Autobiographisches
in diesem Buch steckt und Josephine Angelini selbst keine schöne
Kindheit erleben durfte.
Aber
keine Sorge, zu bedrückend wird die Geschichte nicht. Durch die
kindlich-naive und recht humorvolle Erzählweise wird das Ganze,
finde ich, sehr gut aufgelockert. Mir hat dieser krasse Gegensatz
total gut gefallen: Die ungeschönten Dingen, die sich in Annies
Familie abspielen und dazu dann dieser recht heitere, warmherzige
Erzählton.
Wir
erfahren alles aus der Sicht von Annie in der Ich-Perspektive und
meinem Empfinden nach, ist Josephine Angelini diese kindliche
Betrachtungsweise erstklassig gelungen. Die Art, wie Annie uns von
ihrem Alltag erzählt, ist absolut authentisch und unheimlich
einfühlsam. Ich, als Erwachsene, konnte mich jederzeit problemlos in
unsere 10-jährige Buchheldin hineinversetzen und ihr Denken, Handeln
und Fühlen vollkommen nachvollziehen.
Annie
habe ich sofort ganz fest in mein Herz geschlossen. Man muss sie
einfach lieben - sie ist ein super sympathisches, aufgewecktes und
kluges junges Mädchen.
Bei
Annie habe ich mich die ganze Zeit über gefragt, ob sie an einer
Form des Autismus leidet. Das Wort Autismus wird zwar nie genannt, es
wird nur erwähnt, dass Annie Legasthenikerin ist, aber vom Verhalten
her kam es mir schon so vor, als ob sie Autistin wäre. Sie ist auf
jeden Fall ein hochsensibler Mensch und anders als andere Kinder in
ihrem Alter.
Josephine
Angelini ist mit „Annies Welt“ in meinen Augen ein ganz
besonderes Buch gelungen, welches wohl nicht jedermanns Sache sein
wird, welches mir aber ein fabelhaftes Leseerlebnis beschert hat.
„Annies Welt“ zeigt auf, dass vieles ganz anders ist, als es nach
außen hin oft wirkt. Die Bianchis versuchen immerzu den Schein zu
wahren, dass alles bei ihnen in Ordnung ist und sie eine ganz
gewöhnliche, große Familie sind. Sie gehen regelmäßig zur Kirche
(die Bianchis sind strenge Katholiken) und sie empfangen niemals
Besuch, damit niemand sieht, wie es bei ihnen Zuhause aussieht. Annie
hat gelernt, mit all dem klarzukommen. Wenn es zu schrecklich wird,
beginnt sie zu zählen, denn Zahlen lenken sie ab. Irgendwann beginnt
Annie aber Dinge zu hinterfragen und sie merkt, dass bei ihr Zuhause
alles andere als normale Zustände herrschen.
Ob
sich in der Snow Lane Nummer 17 schließlich noch etwas ändern wird,
ob sich Annies Familie Hilfe holen wird oder nicht, das werde ich hier
nicht verraten, da müsst das Buch schon selber lesen. Nur so viel:
Ein Happy End hat das Buch irgendwie nicht. Hat mich aber nicht
gestört. Ich finde, dass das Ende perfekt zur Geschichte passt.
Fazit:
Berührend, erschütternd, authentisch – ein wunderbares Buch
voller Schmerz, Hoffnung und traurig-schöner Momente! Mich konnte
das erste Kinderbuch von Josephine Angelini hellauf begeistern.
Annies Geschichte hat in mir die verschiedensten Gefühle
hervorgerufen. Ich habe Wut, Trauer und Entsetzen empfunden, ich war
am Schmunzeln und habe mitgehofft und mitgelitten. Für jüngere
Kinder ist das Buch in meinen Augen zu traurig und schonungslos
ehrlich, allerdings spreche ich da natürlich nur für mich. Ich
persönlich würde das Buch jedenfalls erst am 12 und nicht ab 10
Jahren empfehlen. Wer gerne Bücher liest, die zum Nachdenken anregen
und unter die Haut gehen, dem kann ich „Annies Welt“ sehr ans
Herz legen. Von mir gibt es sehr gute 4 von 5
Sternen!
Ein großes Dankeschön an die Verlagsgruppe Oetinger für das Rezensionsexemplar!
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