Samstag, 25. Mai 2019

[Rezension] Es muss ja nicht perfekt sein von Krystal Sutherland

Paperback
Ab 14 Jahren
400 Seiten
ISBN: 978-3-570-16523-2
Erschienen: 22.04.2019

Klappentext:
Esthers Familie ist ungewöhnlich. Das ist das Mindeste, was man sagen kann. Ihr Vater wagt sich nicht mehr aus dem Keller, der Bruder kann nur bei Licht schlafen und die Mutter hat panische Angst vor allem, was Unglück bringen könnte. Was Esthers größte Angst ist, weiß sie nicht. Aber vorsichtshalber notiert sie alles, was infrage kommen könnte, in einer Liste. Und die gerät ausgerechnet in die Hände von Jonah Smallwood – ihrem Schwarm aus der Grundschule. Doch statt sie auszulachen, hilft Jonah ihr, sich ihren Ängsten zu stellen. Gemeinsam arbeiten sie die Liste ab und kommen sich immer näher. Bis Esther erfährt, was Jonah getan hat.

Quelle: cbj Verlag


Rezension:

Da mich Krystal Sutherland mit ihrem Debütroman „Unsere verlorenen Herzen“ richtig begeistern konnte, war meine Neugierde sofort geweckt, als ich beim Durchstöbern der cbj Verlag-Vorschau auf ihr neues Jugendbuch gestoßen bin. Cover und Klappentext überzeugten mich auf Anhieb, sodass für mich sehr schnell feststand, dass ich das Buch unbedingt lesen muss.

Esthers Familie ist ungewöhnlich. Mehr als ungewöhnlich. Ihr Vater lebt im Keller und hat diesen seit vielen Jahren nicht mehr verlassen, ihr Zwillingsbruder Eugene hat eine panische Angst vor der Dunkelheit und ihre Mutter fürchtet sich vor allem, was Pech bringen könnte, daher laufen überall im Haus Kaninchen rum (Kaninchenpfoten sollen schließlich Glück bringen) und auch sonst hat Esthers Mum viele Vorkehrungen gegen das Unglück getroffen. Und Esther? Was ihre größte Angst ist, weiß die 17-jährige nicht, aber normal ist sie auch nicht. Nicht nur, dass man sie nur in den merkwürdigsten Verkleidungen antrifft, als Rotkäppchen zum Beispiel, sie führt auch eine recht seltsame Liste. Auf dieser notiert Esther all die Dinge, die ihr Angst machen. Das sind mittlerweile erstaunlich viele, 50, um genau zu sein. Maisfelder, Hummer, Motten…Ob es normal ist, dass man sich vor so vielen Dingen fürchtet? Vermutlich nicht, daher soll diese Liste auch nur ja keiner zu sehen bekommen! Leider fällt sie dann ausgerechnet Jonah Smallwood in die Hände, Esthers Schwarm aus der Grundschule. Doch anstatt sich über Esther lustig zu machen, bietet er ihr ihre Hilfe dabei an, sich ihren vielen Ängsten zu stellen. Gemeinsam beginnen sie die Liste Punkt für Punkt abzuarbeiten und kommen sich dabei immer näher…

Es muss ja nicht perfekt sein“ war irgendwie so ganz anders als erwartet hatte. Ich hatte hier mit einer emotionalen, tiefgründigen und unterhaltsamen Liebesgeschichte gerechnet. All dies ist die Story zwar auch, nur eben nicht so, wie ich angenommen hatte. Das Buch ist ziemlich skurril und abgedreht, zugleich ist es aber auch ernst und tiefsinnig. Das Buch nimmt einen wahrlich auf eine emotionale Achterbahnfahrt der Gefühle mit. Es bringt einen mit seinen vielen verrückten Ideen zum Lachen und Schmunzeln, es berührt und schockiert einen aber auch und beschäftigt einen noch eine ganze Weile nach dem Lesen.

Schon das erste Kapitel beginnt sehr schräg. Wir lernen Esther im ersten Kapitel als Rotkäppchen verkleidet kennen und ich kann euch ja schon mal verraten, dass noch so eine weitere ausgefallene Kostümierungen folgen werden. ;)
Esther ist schon ein bisschen komisch, aber auch total lieb und sympathisch. Ich mochte sie auf Anhieb und habe sie sehr schnell in mein Herz geschlossen.

Wen man als noch viel ungewöhnlicher bezeichnen kann, ist Esthers Familie. Ich muss gestehen, dass ich mich stellenweise köstlich über die Ticks und Eigenarten der Solars amüsiert habe, da sie manchmal einfach so witzig und auch etwas überspitzt dargestellt werden. Eigentlich aber ist all dies gar nicht zum Lachen. Esthers Eltern, ihr Bruder, sie selbst – sie alle haben psychische Probleme, leiden unter Ängsten, Phobien und Depressionen, sodass man eigentlich nur Mitleid mit ihnen empfinden sollte.

Besonders schockiert hat mich die Geschichte des Vaters. Dieser lebt seit sechs Jahren im Keller des Hauses und hat diesen tatsächlich seit seinem Einzug nicht mehr verlassen. Ich fand das einfach nur schlimm. Sehr getroffen haben mich aber auch Eugenes Probleme. Er leidet an Depressionen und hat eine panische Angst vor der Dunkelheit. Jeden Abend, ehe es dunkel wird, läuft er durchs ganze Haus, um alle Lampen anzuschalten und viele, viele Kerzen anzünden, damit die Dunkelheit auch nur ja keine Chance hat, in das Haus der Solars einzuziehen.
Das Schicksal der Mutter ist ebenfalls furchtbar. Man kann zwar irgendwie nicht anders, als über ihre ganzen Schutzvorkehrungen gegen das Unglück und ihren großen Glauben daran zu schmunzeln, aber lustig ist es ja eigentlich nicht. Das Leben, dass die Solars durch ihre Ängste führen, ist alles andere als schön und fröhlich. Hinzu kommt dann auch noch der Familienfluch, der angeblich schon seit vielen Jahren auf den Solars lastet.

Der Handlungsstrang mit dem Fluch hat mir persönlich nicht ganz so gut gefallen. Wir erfahren durch Rückblenden wie dieser sonderbare Familienfluch entstanden ist und, keine Ahnung, mir war das irgendwie etwas zu creepy und verrückt. Spannend sind diese Erzählungen zwar, sogar gruslig, finde ich, aber eben auch komisch.
Die Geschichte, die hier erzählt wird, wird definitiv nicht jedermanns Sache sein. Es ist schon eine recht spezielle Art, wie wichtige Themen wie psychische Erkrankungen, Tod und Ängste hier behandelt werden. Da ich total auf einen schwarzen Humor stehe, hat mir diese Erzählweise sehr gefallen, nur eben die Sache mit dem Fluch, die fand ich dann doch etwas eigentümlich.

Was mir dafür umso besser gefallen hat, sind die gemeinsamen Erlebnisse von Esther und Jonah. Die beiden machen sich zusammen daran, Esthers Angst-Liste abzuarbeiten und wie das beschrieben wird, ist einfach nur wunderschön, sehr berührend und stellenweise auch richtig lustig. In der Mitte hat sich das Buch für meinen Geschmack zwar ein bisschen gezogen, aber wirklich schlimm fand ich das nicht. Durch den locker-leichten Schreibstil haben sich auch die etwas langatmigen Passagen sehr gut lesen lassen.

Wen ich im Verlaufe des Buches unheimlich liebgewonnen habe, ist Jonah. Mit ihm ist Krystal Sutherland ein wundervoller Charakter gelungen, er ist so ein lieber und hilfsbereiter Kerl. Leider aber hat auch Jonah sein Päckchen zu tragen. Mit ihm bringt Krystal Sutherland ein weiteres ernstes Thema zur Sprache: Häusliche Gewalt.
Esther und Jonah haben es also beide nicht leicht im Leben. Gemeinsam werden sie sich ihren Problemen stellen und geben sich gegenseitig halt. Die zarte Liebesgeschichte, die dabei entsteht, hat mich sehr berührt. Ich hatte zwar mit mehr Romantik gerechnet, aber gestört hat es mich nicht, dass das Augenmerk der Handlung deutlich mehr auf den bereits genannten ernsthaften Themen liegt.

Mit weiteren Nebencharakteren bringt die Autorin sogar noch weitere Erkrankungen mit ins Spiel. So leidet der Großvater der Zwillinge an Demenz und Esthers beste Freundin Hephzibah weigert sich zu sprechen. Heph ist ebenfalls ein sehr wundersamer Charakter. Da hatte ich sogar zuerst gedacht, dass sie nur eine Fantasiefreundin von Esther sei. Erst später habe ich dann festgestellt, da sie wohl doch existiert. Als normal kann man hier wirklich keinen der Charaktere bezeichnen. Wobei – was ist schon normal?
Mir haben die Charaktere wahnsinnig gut gefallen. Sie wirken einfach so echt und authentisch und sind durch ihre vielen Eigenarten allesamt einzigartig.

Krytal Sutherland ist mit „Es muss ja nicht perfekt sein“ ein ungewöhnliches, aber wirklich tolles Buch gelungen, welches eine großartige Message enthält: Es ist wichtig sich seinen Ängsten zu stellen und sich Hilfe zu holen, wenn man Probleme hat oder an einer psychischen Erkrankung leidet. Sich Hilfe holen ist nicht schlimm und man wirkt dadurch nicht schwach. Im Gegenteil, es zeigt, wie stark und mutig man ist, wenn man den Schritt tut, seine Probleme anzugehen und bereit ist, Hilfe von außen anzunehmen.

Fazit: Ganz anders als erwartet, aber keineswegs schlecht anders. Mir hat das Buch ein sehr ungewöhnliches und unerwartetes Leseerlebnis beschert. Es behandelt auf eine ganz besondere Weise ernste Themen wie psychische Erkrankungen, Tod und Ängste. Die Geschichte ist stellenweise ziemlich abgedreht und skurril, zugleich ist sie aber sehr berührend und emotional. Man muss sich darauf einlassen können und wenn einem das gelingt, wird man unvergessliche Lesestunden mit dem Buch erleben. Für volle 5 Sterne hat es mir hier zwar nicht gereicht, aber wärmstens empfehlen kann ich „Es muss ja nicht perfekt sein“ natürlich dennoch. Von mir gibt es sehr gute 4 von 5 Sternen! 







Vielen lieben Dank an das Bloggerportal und den cbj Verlag, die mir dieses schöne Buch als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt haben!

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