Freitag, 10. Februar 2023

[Rezension] Toffee: Wie Glücklichsein von außen aussieht von Sarah Crossan

Paperback
Übersetzt von Beate Schäfer
Ab 14 Jahren
352 Seiten
ISBN: 978-3-446-27593-5
Erschienen: 23.01.2023

Klappentext:

In ihrem neuen Jugendroman erzählt die preisgekrönte Autorin Sarah Crossan von einer Freundschaft über Generationen hinweg. Die 15-jährige Allison ist von zu Hause abgehauen und würde ihr altes Leben am liebsten vergessen. Unterschlupf findet sie bei Marla, die nach und nach die Erinnerung an sich selbst verliert. Marla hält die unerwartete Besucherin für ihre Jugendfreundin Toffee. Und Allison, die sonst nirgendwohin kann, schlüpft in diese Rolle. Gemeinsam kochen und tanzen sie, gehen zum Strand, kümmern sich umeinander. Und Allison begreift, was es bedeutet, eine richtige Familie zu haben. Ein intensiver Roman über die Kraft, für sich und andere einzustehen.

Quelle: Hanser Verlag

Rezension: 

Von Sarah Crossan habe ich vor einigen Jahren „Wer ist Edward Moon?“ gelesen – ein großartiger Roman, der definitiv zurecht mit dem deutschen Jugendliteraturpreis 2020 ausgezeichnet wurde. Als ich nun von ihrem neuen Werk „Toffee“ hörte, war meine Neugierde sofort geweckt. Cover und Klappentext sprachen mich direkt an – für mich stand daher sehr schnell fest, dass ich das Buch lesen möchte.

Die 15-jährige Allison ist von zu Hause ausgerissen. Sie hat einfach keinen anderen Ausweg mehr gesehen als abzuhauen und vor ihrem gewalttätigen Vater zu flüchten, der sie so viele Jahre lang misshandelt hat. Ihr Weg führt sie schließlich in ein kleines Dorf am Meer, meilenweit weg von ihrem Heimatort. Hier findet sie Unterschlupf bei einer alten Frau namens Marla, die – anders als Allison, die versucht zu vergessen – versucht sich zu erinnern. Marla ist dement und lebt meist komplett in ihrer eigenen Welt. Sie hält ihre Besucherin für ihre Jugendfreundin Toffee – was diese nicht abstreitet. Allison schlüpft kurzerhand in diese neue Rolle und wird zu Toffee. Eine wunderbare, tiefgehende Freundschaft entsteht zwischen den beiden unterschiedlichen Frauen. Die Zwei kommen sich immer näher, sie kümmern sich umeinander und profitieren voneinander. Marla erhält endlich die Zuwendung und Hilfe, die sie von ihrem Sohn nie bekommt und Allison erkennt, was es bedeutet eine richtige Familie zu haben und einen Ort, den man wirklich Zuhause nennen kann.

Dies war also mein zweites Buch von Sarah Crossan und wie bereits mein erstes, so hat sich auch „Toffee“ als ein absolutes Lesehighlight für mich entpuppt. In meinen Augen hat es die irische Autorin erneut mit Bravour geschafft, in nur wenigen poetischen Worten eine überaus tiefgründige, ergreifende und fesselnde Story zu erzählen, die unter die Haut und zu Herzen geht und einen einfach nicht mehr loslässt. Man kann eigentlich gar nicht anders, als die Geschichte in einem Zug zu lesen und das, wo sie noch nicht einmal groß spannungsgeladen ist. „Toffee“ ist ein sehr ruhiges Buch, in dem es nicht darum geht, uns Leser*innen mit krassen Wendungen oder actionreichen Szenen in Atem zu halten. Es geht um die Charaktere und ihre Entwicklungen. Es geht um Allison und Marla – und um die essentiellen Fragen, die uns alle irgendwann einmal beschäftigen: Wer bin ich eigentlich? Was bedeutet Freundschaft und Familie? Wie fühlt es sich an, ein richtiges Zuhause zu haben?

Das Buch regt sehr zum Nachdenken an und da es sich mit teils ziemlich ernsten Themen auseinandersetzt, ist es keine leichte Kost. Unsere 15-jährige Hauptprotagonistin Allison, aus deren Sicht alles in der Ich-Perspektive geschildert wird, hat kein einfaches Leben und blickt auf eine dunkle Vergangenheit zurück, was in erster Linie dem Vater zuzuschreiben ist. Durch Rückblenden erfahren wir, was Allison als Kind alles Schlimmes durchmachen musste, wie sie daheim von ihrem Vater physisch und psychisch misshandelt wurde und jahrelang diesen körperlichen und seelischen Schmerz aushalten musste. Es ist daher nur zu verständlich, dass sie einfach nur noch weg möchte und sich nichts mehr wünscht als ihr altes Leben zu vergessen.
Marla wiederum kämpft gegen das Vergessen. Sie leidet an einer Krankheit, die ihr nach und nach alle Erinnerungen nimmt und gegen die sie keine Chance hat. Marla ist dement und lebt meist Erlebnisse aus ihrer Kindheit nach. Manchmal hat sie aber auch klare Momente und erkennt, in was für einer unglücklichen Lage sie sich befindet.
 
Sowohl Marlas Demenz als auch der Missbrauch an Allison werden auf eine schonungslos ehrliche Art und Weise behandelt, sodass einen das Gelesene alles andere als kalt lässt und die Grundstimmung eine sehr melancholische ist. Da sich das Buch aber auch noch mit anderen, deutlich angenehmeren und schöneren Dingen befasst, verströmt die Geschichte trotz all der Schwere auch eine gewisse Leichtigkeit und gibt Kraft und Zuversicht.

Allison und Marla mögen auf den ersten Blick sehr verschieden sein – schon allein aufgrund ihres Alters. Sie haben aber mehr gemeinsam als zunächst gedacht und werden sich immer näherkommen. Mich hat es tief berührt zu sehen, wie sich zwischen den beiden ungleichen Frauen eine wundervolle Freundschaft entwickelt, wie sie sich gegenseitig Trost spenden, voneinander lernen und immer vertrauter miteinander werden. Besonders bewegt hat mich Allisons liebevoller Umgang mit Marlas Demenz. Sie geht bemerkenswert gut damit um und obwohl sie sich mit dieser Krankheit nicht auskennt, tut sie meist genau das Richtige. Das Zusammenspiel zwischen den beiden, ihre Dialoge und ihre freundschaftliche Liebe werden einfach so toll und herzerwärmend beschrieben und zeigen uns, dass Freundschaft keine Altersgrenze kennt.

Mir sind Allison und Marla richtig ans Herz gewachsen und auch die weiteren Figuren, auf die wir im Verlauf der Erzählung treffen, mochte ich sehr. Als sympathisch kann man sie zwar nicht alle bezeichnen, aber sie wurden allesamt hervorragend ausgearbeitet und machen das Lesen mit ihren unterschiedlichen Eigenschaften zu einem einzigartigen Erlebnis.

Auch sprachlich ist dieser Roman eine echte Besonderheit. Wie die meisten Bücher von Sarah Crossan, so ist auch „Toffee“ in freien Versen geschrieben. Die kurzen Sätzen mögen auf den ersten Blick vielleicht etwas unscheinbar wirken, sie sagen aber enorm viel aus und treffen einen mit voller Wucht. Hier auch mal ein großes Lob an die Übersetzerin Beate Schäfer, die den Text so gekonnt ins Deutsche übertragen wird. Die Verse lesen sich einfach nur unheimlich schön und entfalten von den ersten Seiten an eine immense Sogwirkung, der man sich kaum mehr entziehen kann.

Fazit: Emotional, intensiv, sprachgewaltig. Ein kraftvoller Roman, den man schnell liest, aber so schnell nicht mehr vergisst.

Nachdem mich Sarah Crossan bereits mit „Wer ist Edward Moon?“ restlos begeistert hat, hat sie es nun erneut geschafft, mich zutiefst zu beeindrucken. Der irischen Autorin ist es abermals einfach meisterhaft gelungen, mit nur wenigen Worten unglaublich viel auszusagen. „Toffee“ erzählt eine wunderschöne Geschichte über eine außergewöhnliche generationsübergreifende Freundschaft, es enthält viel Schmerz und Düsterkeit und wühlt auf, gleichzeitig steckt es aber auch voller Gefühl und Wärme und schenkt Hoffnung und macht Mut. „Toffee“ ist ein ganz besonderes Buch und definitiv nicht nur für Jugendliche ab 14 Jahren vollkommen lesenswert, sondern auch für Erwachsene. Von mir gibt es 5 von 5 Sternen!
 
 
 



 
Vielen lieben Dank an den Hanser Verlag für das Rezensionsexemplar!

 

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